Dieser Blogeintrag wurde prokrastiniert

04.10.2020

Prokrastination - der Zustand, eigentlich etwas anderes machen zu müssen. Jeder von uns hat sicherlich schon einmal die Fenster geputzt, obwohl man eigentlich für die Klausur lernen sollte oder hat stundenlang YouTube-Videos geschaut (hier ein sehr guter TED-talk über Prokrastination), wenn man doch eigentlich mal die Wäsche machen sollte. Meine wohl ironischste Prokrastination ist, wenn ich mir Videos darüber anschaue, wie man am besten für eine Klausur lernt während ich für eine Klausur lernen sollte. Aber egal wie wichtig die eigentliche Aufgabe ist, man schiebt sie immer wieder auf.

In ihrem Paper "Procrastination and the Priority of Short-Term Mood Regulation: Consequences for Future Self" beschreiben Fuschia Sirois und Timothy Pychyl es so: "Wir priorisieren unsere jetzige Laune über die Konsequenzen unseres Nichtstuns für unser zukünftiges Ich." Die Konsequenzen unseres Nichtstuns kennen wir auch nur zu gut: Stress und Schuldgefühle. Und auch das YouTube-Videos-Schauen bringt nicht so viel Spaß, wie es das sonst tut.
Es ist also nicht überraschend, dass auch Sirois und Pychyl Prokrastination mit schlechter mentaler Gesundheit, Angst, Depression und Stress assoziieren und sich dabei auf viele weitere Paper und Studien beziehen. Gleichzeitig deute Prokrastination darauf hin, dass gesundheitsförderliche Verhaltensweisen wie regelmäßige Bewegung, gesund essen oder genügen Schlaf zu bekommen nicht ausgeübt werden. Natürlich heißt das nicht, dass ihr, wenn ihr einmal prokrastiniert direkt eure Gesundheit in Gefahr ist. Aber man sollte aufpassen, dass Prokrastination nicht zur automatischen Antwort oder Gewohnheit wird und damit auch weiteres Verhalten stark beeinflusst. Dass zusätzlich die Qualität der Arbeit unter Prokrastination stark leidet, muss ich wohl kaum sagen. Aber wenn Prokrastination so viele negative Konsequenzen hat, warum prokrastinieren wir dann?

Natürlich gibt es im Leben Aufgaben, die nicht wirklich Spaß machen, aber einfach erledigt werden müssen. Für eine Klausur den Stoff auswendig lernen zu müssen ist nicht wirklich spaßig, trägt aber dazu bei, dass ich mein Studium abschließen kann. Ein aufgeräumtes Zimmer gibt mir einen klareren Kopf, genauso wie ein leeres Mailpostfach.
Ein Grund, der häufig hinter dem "Ich habe keine Lust" steht, ist Überforderung. Wenn ich noch nie eine Bachelorarbeit geschrieben habe, weiß ich nicht, wo ich anfangen soll und es erscheint einfach als ein großer Haufen Arbeit. Die Belohnung ist auch sehr weit entfernt und unsicher, was zusätzlich demotiviert. Dann prokrastiniere ich und habe weniger Zeit, bin noch überforderter mit der Aufgabe und mitten im Teufelskreis gefangen.
Der andere Grund ist Langeweile und die Eintönigkeit der Arbeit. Das lässt sich aber zum Glück mit einigen Tricks beheben (siehe unten). Ich beobachte auch, dass Prokrastination immer wieder als Ausrede für die resultierende Leistung genommen wird (mich eingeschlossen). "Ich habe es gar nicht richtig versucht, also ist das okay." Denn nichts ist enttäuschender als wenn man die best-mögliche Arbeit geleistet hat und scheitert. Wenn man dann doch die Klausur bestanden hat oder sogar ein gutes Ergebnis hat, greift das sogenannte Mathilda-Syndrom (nach Ronald Dahl's Mathilda): Man fühlt sich außergewöhnlich. Oder man redet sich ein, dass jetzt gar kein guter Zeitpunkt ist und man später die Arbeit ja sogar besser machen kann. Diese Dissoziation von jetzigem Ich und zukünftigem Ich beobachteten auch Sirois und Pychil. Die Konsequenzen für unser Zukunfts-Ich sind nicht wirklich absehbar, also wird einfach das Jetzt priorisiert.

Meine 6 Tipps gegen Prokrastination:

  1. Setze dir eine Deadline.
    Es gibt genügend Aufgaben, die nicht automatisch mit einer Deadline kommen. Neue Schritte in der Karriere, Projekte, die man verfolgen möchte oder sportlicher zu werden kann man theoretisch jederzeit machen. Sich eine (künstliche) Deadline zu setzen, wie z.B. den Lauf, für den man sich angemeldet hat oder einfach nur ein Datum im Kalender helfen dabei, diese Dinge nicht ewig aufzuschieben. Dabei muss man die Deadline aber auch ernst nehmen und sich ggf. gegenüber anderen verantwortlich machen.

  2. Vergib dir selbst
    Schuldgefühle helfen dir nicht dabei, deine beste Arbeit zu leisten. Versuche den Blick vorwärts zu richten und dich nicht für deine vergangene Prokrastination herunterzumachen. Ändern kannst du es jetzt eh nicht mehr.

  3. Gestalte deine Umgebung
    Deine Arbeitsumgebung sollte möglichst wenig Potenzial für Ablenkungen bieten. Wenn du kein Internet brauchst, schalte deinen Laptop oder dein Smartphone in den Flugmodus. Lege dein Smartphone in ein anderes Zimmer, wenn du es für deine Arbeit nicht brauchst. Idealerweise schaffst du dir einen Ort nur für die Arbeit.

  4. Mach dir eine Anleitung
    Gerade gegen Überforderung hilft es, die Arbeit in mehrere kleine Schritte zu unterteilen. Wenn man mir einen Schrank ohne Aufbauanleitung geben würde, wäre ich auch überfordert. Aber auch wenn du dir deine Anleitung selbst schreiben musst, gibt es bestimmt Menschen, die auch schon mal das Problem hatten und von denen du Tipps und Tricks abschauen kannst.

  5. Verkürze das Feedback
    Sind die Fenster geputzt, hat man natürlich ein direktes Feedback, das einem auch eine Belohnung gibt. Bei einer Bachelorarbeit ist das schon schwieriger. Egal, ob du dir nach jedem Kapitel, das du geschrieben hast, eine Belohnung setzt oder einfach aufschreibst, wie viel du schon geschafft hast: Schnelleres Feedback motiviert! (Das gilt übrigens auch für Gewohnheiten, die du etablieren möchtest)

  6. Timer
    Die typischste Variante des Timers zum Lernen ist wohl die Pomodoro-Technik: Man arbeitet für 25 Minuten, macht dann 5 Minuten Pause. Das wiederholt man viermal und macht dann eine größere Pause von 20 Minuten. "Ich lerne jetzt 25 Minuten und habe dann Pause" ist einfach sehr viel weniger entmutigend als "Ich muss heute den ganzen Tag lernen". Wenn ich nach 25 Minuten so gut in der Aufgabe drin bin, ignoriere ich manchmal auch einfach den Timer. Aber auch kürzere Timer von 10 oder 15 Minuten helfen, um erstmal anzufangen. Ich sage mir auch vorher, dass es okay ist nach dem Timer aufzuhören, wenn ich absolut keine Energie und Lust habe. In den allermeisten Fällen ist man aber schon so sehr im Fluss, dass es einfacher ist weiterzumachen.

Warum Prokrastination auch gut sein kann

Wie Anna? Prokrastination ist gar nicht so schlecht? - Ja, ich weiß, ich habe gerade gesagt, dass die Qualität der Arbeit unter Prokrastination leidet und negative Konsequenzen für deine gesamte Gesundheit haben kann. Wenn man aber zu früh mit einer Aufgabe anfängt und sich keine Zeit lässt sie zu durchdenken, kann auch das Ergebnis darunter leiden. Es gibt einen Grund, weshalb Bachelor- oder Masterarbeiten auf einige Monate ausgelegt sind: Theoretisch ist es möglich innerhalb von wenigen Wochen den notwendigen Text herunterzuschreiben, aber auch das wird nicht die beste Arbeit sein. Unser Gehirn braucht Zeit, um schwierige Fragestellungen auch unterbewusst zu durchdenken. ABER: Bitte nicht wieder als Ausrede für Prokrastination benutzen!

Ich hoffe, meine Tipps helfen dir weiter die Dinge zu machen, die du eigentlich machen müsstest - oder eigentlich machen möchtest. Jetzt aber genug prokrastiniert!
Denn eigentlich müsstest du doch auch etwas anderes machen, oder?